Steckengebliebener Bau: Für den Anspruch auf erstmalige Errichtung gibt es Grenzen
Ein Wohnungseigentümer kann laut Bundesgerichtshof zwar die erstmalige Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums verlangen. Allerdings gilt das nur, wenn dies auch den anderen Eigentümern zumutbar ist. Zugrunde lag der Entscheidung ein Fall aus Rheinland-Pfalz.
rFrühes Aus: In dem Fall, über den der BGH nun entschied, war der Bauträger bereits in der Abrissphase des vormaligen Bestandsgebäudes in Insolvenz gefallen. - Foto: BabettsBildergalerie / Adobe Stock
Von Rechtanwalt Matthias Pauli
Aufgrund der stark gestiegenen Zinsen ist der Boom der vergangenen Jahre am Immobilienmarkt vorbei. Mit der einhergehenden erheblich gesunkenen Nachfrage sind viele Bauträger unter Druck geraten; einige große Projektentwickler mussten bereits Insolvenz anmelden. Dies kann sich zu einem regelrechten Albtraum für Käufer von Eigentumswohnungen entwickeln, die sich noch in der Bauphase befinden und deren Wohnung noch nicht erstellt worden ist.
Zur Rechtsfigur des steckengebliebenen Baus
In der Praxis wird dann häufig die Frage der Fertigstellung des begonnenen Bauvorhabens diskutiert. Kernelement der wohnungseigentumsrechtlichen Diskussion ist die Rechtsfigur des so genannten steckengebliebenen Baus. In den vergangenen Boomjahren war diese Problematik in der Praxis nicht von Bedeutung. Zukünftig dürfte sich dies aber ändern.
Die Rechtsfigur und deren Rechtsfolgen waren nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) höchst umstritten. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr mit Urteil vom 20. Dezember 2024 (Az. V ZR 243/23) die umstrittene Rechtsfrage abschließend entschieden und einen Lösungsweg aufgezeigt.
Dem Bundesgerichtshof lag ein regelrecht extremer Fall aus Rheinland-Pfalz zur Entscheidung vor, mit dem sich zuvor bereits das Landgericht Koblenz beschäftigt hatte. In diesem Fall war bereits abweichend von sonst üblichen Bauträgerverträgen Wohnungseigentum begründet worden, ohne dass das Bauvorhaben auch nur mit einem Stein errichtet war. Vielmehr war der Bauträger bereits in der Abrissphase des vormaligen Bestandsgebäudes in Insolvenz gefallen. Die Klägerin begehrte von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Fertigstellung des Gebäudes.
Keine Ableitung in Bezug auf das Sondereigentum
Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung die Rechtsgrundlage für ein solches Begehren geklärt. Demnach kann jeder Wohnungseigentümer im Rahmen der so genannten ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 18 Abs. 2, Nr. 1 WEG die erstmalige plangerechte Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums verlangen. Ein Anspruch auf Errichtung des Sondereigentums kann hieraus allerdings nicht hergeleitet werden.
Dieser grundsätzliche Anspruch wird jedoch nicht unbegrenzt gewährt und kann entfallen, wenn die Erfüllung des Anspruchs – also die Fertigstellung des gemeinschaftlichen Eigentums – den übrigen Wohnungseigentümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist.
Kriterien zur Zumutbarkeit bzw. Unzumutbarkeit
Der Bundesgerichtshof hat den Wohnungseigentümern auch gleich Kriterien an die Hand gegeben, welche die Unzumutbarkeit bestimmen. Diese Kriterien stellen sich wie folgt dar:
- Rechtliche Unmöglichkeit der Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums: Der Anspruch auf Fertigstellung ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn das nach der Teilungserklärung vorgesehene Bauvorhaben nicht mehr verwirklicht werden kann. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob eine bestandskräftige Baugenehmigung vorliegt und ob auf Grundlage dieser Baugenehmigung das Gebäude errichtet werden kann. Der Anspruch auf Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums kann somit nicht mehr durchgesetzt werden, wenn das Bauvorhaben gar nicht mehr genehmigungsfähig ist.
- Unverhältnismäßige Kosten für die Herstellung des Gemeinschaftseigentums: Abzustellen ist zunächst auf den Fertigstellungsgrad des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die noch notwendigen Investitionen zur Fertigstellung. Entscheidend sind in diesem Zusammenhang auch die Kosten, die die Wohnungseigentümer bereits aufgewendet hatten. Der Bundesgerichtshof hat eine Grenze der Kostensteigerung von 50 Prozent festgelegt. Soweit die zu erwartenden Fertigstellungskosten die ursprünglich nach dem Bauträgervertrag vorgesehenen Kosten somit um 50 Prozent oder mehr übersteigen, liegt eine Unzumutbarkeit vor. Mithin müssen die Wohnungseigentümer im Fall des steckengebliebenen Baus die zu erwartenden Aufwendungen und Kosten ermitteln und in das Verhältnis zu den bereits gezahlten bzw. nach dem ursprünglichen Vertrag zu zahlenden Kosten stellen. Hier werden insbesondere die seit Baubeginn erheblich gestiegene Kredit- und Handwerkerkosten zu berücksichtigen sein. Soweit die 50 Prozent-Grenze überschritten ist, indiziert dies somit eine Unzumutbarkeit und ein Anspruch auf Fertigstellung des gemeinschaftlichen Eigentums besteht nicht mehr.
- Zahlungsfähigkeit der Miteigentümer: Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Zahlungsfähigkeit der Miteigentümer. Die Fertigstellung des gemeinschaftlichen Eigentums würde durch Sonderumlagen finanziert werden. Soweit ein Großteil der Miteigentümer nicht mehr in der Lage ist, die zu erwartenden hohen Sonderumlagen zu zahlen, kann auch dies ein Indiz für eine Unzumutbarkeit sein. Somit muss auch noch die individuelle Zahlungsfähigkeit der Miteigentümer ermittelt werden. Gegebenenfalls müssen die Miteigentümer in diesem Zusammenhang auch offenlegen, ob für sie eine weitere Finanzierung möglich ist.
- Wirtschaftliche Alternativen: Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sind auch wirtschaftliche Alternativen in Betracht zu ziehen. Dies kann zum Beispiel das Angebot eines Bauunternehmers sein, der die Ruine erwerben und dann fertigstellen bzw. eine andere Nutzung etablieren möchte. Soweit also ein marktfähiges Angebot vorliegt, welchem die Miteigentümer nähertreten wollen, kann somit ein Anspruch auf Fertigstellung des gemeinschaftlichen Eigentums ausgeschlossen sein.
- Weitere Gründe: Der BGH hat in der Entscheidung auch noch auf weitere Gründe für den Ausschluss des Anspruchs auf Fertigstellung des gemeinschaftlichen Eigentums abgestellt. Diese beruhten in diesem Fall auf einem Näheverhältnis zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer des insolventen Bauträgers. Ein solches Näheverhältnis und ein regelrechtes Zusammenwirken zum Nachteil der Miteigentümer kann einem Anspruch auf Fertigstellung entgegenstehen.
Sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigen
Rechtsgrundlage für die Begrenzung des Anspruchs ist der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, wie er in der Vorschrift des § 242 BGB normiert ist. Die Auflistung des Bundesgerichtshofs ist somit nicht abschließend. Mithin sind alle Umstände des Einzelfalls bei der Prüfung des Anspruchs zu berücksichtigen. Wesentliche Kriterien werden allerdings die Verhältnismäßigkeit der noch aufzuwendenden Kosten sowie die Zahlungsfähigkeit der Miteigentümer sein. Schließlich trifft der Bundesgerichtshof auch Feststellungen für den Fall, dass ein Anspruch auf Fertigstellung des gemeinschaftlichen Eigentums nicht mehr besteht. In diesem Fall besteht grundsätzlich ein ebenfalls aus den Grundsätzen nach § 242 BGB hergeleiteter Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Wohnungseigentümer sind dann verpflichtet, im Rahmen einer Vereinbarung das Sondereigentum wieder aufzuheben und eine Bruchteilsgemeinschaft zu gründen. Die Auflösung der Bruchteilsgemeinschaft erfolgt dann durch eine Teilungsversteigerung.
Der steckengebliebene Bau wird für die Erwerber eine erhebliche Belastung darstellen. Nunmehr bestehen allerdings nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs handfeste Kriterien für die Abwicklung solcher Fälle. Die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ist jedoch aufwendig und komplex und setzt eine qualifizierte Beratung durch einen Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrechtrecht bzw. durch den Haus- und Grundbesitzerverein voraus.
|
Urteil zum NachlesenDer BGH hat das Urteil im Voll-Text veröffentlicht: |